Meinung und Satire
Rund um die Psyche
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                           Das Freud´sche Lieblingskind
                                    Neurose - Krankheit mit Geschichte

Wer kennt ihn nicht, den neurotischen Nachbarn. Der Begriff Neurose ist im täglichen Gebrauch allgegenwärtig. Was aber ist das eigentlich? Die Hausfrau mit dem übertriebenen Putzfimmel, der Junge mit der panischen Angst vor Hunden, die ältere Dame, die seit Jahren das Haus nicht mehr verlassen hat.
All dies fällt in den Bereich der neurotischen Störungen
Äussern können sich Neurosen z.B.  als Zwänge, Ängste,(neurotische)Depressionen, körperliche Beschwerden.
Der Neurosebegriff ist nicht an das Symptom gebunden, entscheidend ist vielmehr die psychische Ursache, d.h. der Neurosebegriff ist wesentlich gebunden an die Theorie über deren Entstehung.
I
nsofern ist diese Bezeichnung sehr weit gefasst und kann auf eine heterogene, kaum abgrenzbare Gruppe von Störungen angewendet werden.
Definitionsgemäß...
...entstehen Neurosen aufgrund eines frühkindlichen, ungelösten Konflikts
...bleiben Krankheitseinsicht und Geschäftsfähigkeit erhalten
...sind Neurosen psychisch bedingt
...und erlebt der Patient seine Krankheit bewusst.

Zur Bewältigung eines Ereignisses bzw.  konfliktbesetzter Lebensumstände/Entwicklungen werden unbewusst Abwehrmechanismen ergriffen, die es dem Betroffenen ermöglichen, ein leidensfreies Leben zu führen. Deswegen ist neurotisches Verhalten nicht zwingend als pathologisch anzusehen, selbst wenn der Betroffene sich seiner neurotischen Symptome bewusst ist.. Solange der Betroffene unter dem entsprechendem Symptom --z.B. gesteigerter Angst vor Wasser- nicht leidet,  liegt auch keine behandlungsbedürftige psych. Störung/Neurose  im eigentlichen Sinne vor.
Man unterscheidet zusätzlich in
Symptomneurosen: 
Die Beeinträchtigungen werden als Ich-fremd und störend/bedrängend erlebt, der Betroffene ist sich seines Problems bewusst.
Charakterneurosen: Die neurotischen Züge werden als zur eigenen Persönlichkeit zugehörig erlebt. Hierbei geht es aber weniger um einzelne neurotische Symptome als vielmehr um tiefverwurzelte, die gesamte Persönlichkeit formende Wesenszüge. Diese Persönlichkeitsstörungen gehen damit über den Umfang einer “normalen” Neurose weit hinaus. Hier sind nicht einzelne Bereiche betroffen, sondern der Mensch in seiner kompletten Persönlichkeitsstruktur. Oftmals liegt kein Problembewusstsein vor.  
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                                                        Ursache:
Aus psychodynamischer (psychoanalytischer)
.....Sicht wird der neurotische Grundstein in früher Kindheit durch nicht bewältigte Kindheitstraumen bzw. Entwicklungskonflikte gelegt (Tod eines Angehörigen, Trennung, gefühlskalte Erziehung, totale Bemutterung, andere leidvolle Erfahrungen der frühen Kindheit , - aus psychoanalytischer Sicht ist vor allem der Zeitraum bis zu ca. 6 Jahren interessant)  Es besteht ein Konflikt zwischen eigenen Antrieben und Bedürfnissen und gesellschaftlichen Normen/Vorschriften auf der anderen Seite.
Über verschiedene Abwehrmechanismen (im Prinzip neurotisches Verhalten) kann die Person aber ein- zumindest ihrer Meinung nach- normales Leben führen.

Abwehrmechanismen spielen in der psychoanalytischen Lehre eine große Rolle und dienen dazu -sowohl beim gesunden als auch beim “kranken” Menschen-, peinliche, gefährliche, leidvolle Erlebnisse  derart umzudeuten, dass ein relativ normales Leben möglich ist.
Abwehrmechanismen sind nicht automatisch pathologisch (krankhaft), sondern werden auch im täglichen Leben des “Normalbürgers” angewandt. Krankheitswert erhalten sie erst, durch ihre Intensität, Dauer, Unangemessenheit und die oftmals damit verbundene verzerrte Wahrnehmung der Wirklichkeit.
Dies können z.B. sein:
-Verdrängung,/Verleugnung: Der Konflikt, das Ereignis wird schlichtweg geleugnet.
-Rationalisierung(Intellektualisierung): (so was ist doch normal, ist begründbar), Ungewöhnliche Verhaltensweisen werden durch Scheinbegründungen ohne inhaltliche Substanz versucht zu erklären.
.-Regression: Rückzug in frühkindliche Verhaltensmuster. Dadurch wird auch die Verantwortlichkeit für verschiedene Verhaltensweisen abgegeben.
-Progression: übersteigertes Erwachsenengehabe
-Wendung gegen die eigene Person: ich bin schuld, nichts wert
-Projektion: an sich selbst abgelehnte Eigenschaften werden auf Andere übertragen, als dort entstanden angesehen  und dort kritisiert und abgelehnt
-Wendung ins Gegenteil: nicht erlaubte/akzeptierte Eigenschaften werden ins Gegenteil                    verkehrt: Faulheit in übersteigerte Geschäftigkeit, Sauberkeit in Vernachlässigung der Hygiene
-Verschiebung: Impulse werden an Ersatzobjekten ausgelebt, die weniger gefährlich oder erreichbar sind.
-Sublimierung: Ursprüngliche Bedürfnisse/Ziele/Triebe(gem.Freud bevorzugt sexueller Art) werden aufgegeben zugunsten sozial und ethisch akzeptierter, höherstehender Ziele. Z.B. soziales Engagement oder künstlerische Betätigung.
-Psychosoziale Abwehr: andere Personen werden zum “Sündenbock” gemacht zwecks                  eigener Entlastung
-Reaktionsbildung: nicht akzeptierte Erlebnisinhalte werden mit entgegengesetzten Gefühlen            besetzt. Statt Hass mit Mitleid, statt Angst mit selbstopfernder Liebe
-Introjektion: Übernahme von Erlebnis- und Verhaltensweisen anderer Personen. Deren Emotionen werden als eigene erlebt und verinnerlicht. 
Durch belastende Ereignisse in der Gegenwart wird dieses künstlich geschaffene Bewältigungssystem aber erschüttert und der Konflikt bricht im Erwachsenenalter in Form neurotischer Störungen aus, mit denen der Erkrankte nicht mehr zurechtkommt.(z.B. Angst, Zwang, Hysterie). Dabei muss das auslösende Moment mit der Neurose nichts zu tun haben und muss auch nicht zwingend gravierend sein. Manchmal ist es nur der berühmte Tropfen, welcher das Fass der unterdrückten  Konflikte zum überlaufen bringt. Dies können körperliche Umstellungen sein, Pubertät, Schwangerschaft, Eintritt der Wechseljahre, Erkrankungen, Todesfälle, Scheidungen, Ausziehen der Kinde, Verrentung, Arbeitsplatzverlust oder andere Ereignisse.

Lerntheoretisch oder kognitionspsychologisch
....sind Neurosen durch Lernvorgänge ausgelöstes Fehlverhalten. Mangelnde Bewältigungsstrategien und Vermeidungsverhalten führt zu neurotischen Störungen, d.h. die Störung wird im Laufe der Zeit “erlernt” und als Möglichkeit gesehen, dem ursprünglichen Konflikt aus dem Wege zu gehen.
Eine Konfliktsituation wird mit einer eigentlich neutralen Erfahrung in Verbindung gebracht.
Während eines schweren Autounfalles geht eine Wasserflasche zu Bruch und durchnässt die Hose des Autofahrers.
Jedesmal beim Waschen wird der Mann an den Unfall erinnert, weswegen er Wasser meidet und damit auch der qualvollen Erinnerung aus dem Weg geht. Er “lernt”, das die Vermeidung von Wasser ihm Qualen erspart und entwickelt dadurch eine neurotische Störung.
Man spricht hier auch von...
......primärem Krankheitsgewinn: durch die Krankheit kommt es zu einer psychischen Entlastung des Patienten, die neurotische Störung ist nicht so belastend wie der ursprüngliche Konflikt bzw.      .....sekundärem Krankheitsgewinn: Aus der Störung heraus entwickeln sich soziale/ökonomische Folgen, die positiven Charakter haben wie z.B. vermehrte Zuwendung der Umwelt, man muss auf Grund der Krankheit nicht mehr arbeiten gehen etc.
Diese positiven Folgen stabilisieren die Störung.

Generell ist anzunehmen, dass sowohl erhöhte körperliche Belastungen ( Allergien, Geburt, Schwangerschaft, Krankheiten, hormonelle Umstellungen etc. ) als auch psych. Belastungen (Todesfall, Scheidung, berufl.Überforderung etc) zu einer instabilen, für Störungen aller Art empfänglichen Persönlichkeit führen können. In Verbindung mit früheren, nicht verarbeiteten Konflikten ergibt sich eine hohe Empfänglichkeit für neurotische Störungen.

Im obigen Sinne wird der Begriff  Neurose zwar immer noch verwendet, weswegen er hier auch erläutert wird. Stattdessen spricht man aber heute überwiegend von psychischen bzw. psychogenen Störungen. Die Einteilung dieser psychogenen (d.H. überwiegend seelisch, nicht organisch verursacht) Störungen erfolgt aktuell unabhängig vom Neurosebegriff.
Früher sprach man auch von Psychoneurosen, Konversionsneurosen, Characterneurosen(sog.Psychopathien),Organneurosen,Angstneurosen,Zwangsneurosen.
Heute unterscheidet man hauptsächlich nach Symptomen, der globale Neurosebegriff wurde in der Wissenschaft weitgehend aufgegeben zugunsten einer breitgefächerten Gliederung einzelner, differenzierter psych. Erkrankungen:
 ...phobische Störungen,
...Angststörungen,
...Zwangsstörungen,
...Belastungs- und Anpassungsstörungen(abnorme Erlebnisreaktionen),
...dissoziative Störungen,
...somatoforme Störungen,
...Persönlichkeitsstörungen.
Wichtigstes Merkmal dieser Gruppe ist die angenommene zumindest beträchtliche
psychische Verursachung, weshalb bei der Behandlung die Psychotherapie eine bevorzugte Rolle einnimmt. Auch hier aber können körperliche Veränderungen und genetische Veranlagung als mitverursachendes Element nicht ausgeschlossen werden.
In vielen Fällen kommt es zu Komorbidität, d.h. verschiedene Krankheitsbilder treten gleichzeitig auf. Bei Angststörungen beträgt die Komorbidität mit depressiven Erkrankungen, dissoziativen und somatoformen Störungen bis zu 50%.

Generell wird bei diesen Störungen, -wie eigentlich bei allen-  auch von einem Ungleichgewicht im
System der Botenstoffe ausgegangen. Bei Angststörungen lässt die Wirksamkeit von SSRI (Serotoninwiederaufnahmehemmer) eine Störung des serotonergen Systems vermuten, auch eine Beteiligung des Botenstoffs GABA sowie der Hormone CRF/Kortisol/ACTH wird angenommen. Bei Zwangsstörungen scheinen ebenfalls Serotonin und Dopamin eine Rolle zu spielen.
Ebenfalls genetische Disposition wird bei Angststörungen angenommen, da diese Störungen oftmals gehäuft in Familien vorkommen.
Doch können diese Vermutungen Störungen dieser Art alleine nicht begründen.
Wahrscheinlicher ist das Zusammenspiel verschiedener Faktoren in unterschiedlicher Ausprägung.
Gerade bei diesen Erkrankungen spielen auch Persönlichkeit, familiäre und soziale Umgebung, ungelöste verdrängte Konflikte,traumatische oder zumindest stark beeindruckende Erlebnisse und die Art der Verarbeitung dieser Faktoren eine tragende Rolle. Treffen kann es aber Jeden: sowohl die völlig überforderte Hausfrau mit 3 Kindern als auch den starken, nicht zu erschütternden Managertypen auf dem Gipfel seines Erfolges oder die lebenslustige Single-Karrierefrau. Aus dem oben Gesagten lässt sich auch die wichtige Rolle der Psychotherapie ableiten. Medikamente beseitigen nicht die auslösenden Faktoren, halten die Symptome nur unter Kontrolle und dienen nur der Vermeidung der Konfrontation mit der Krankheit. Zur wirklich erfolgreichen Behandlung ist es aber erforderlich, dem Betroffenen Wege aufzuzeigen, auch ohne Medikamente ein störungsfreies Leben zu führen.
 

Exkurs: Im Gegensatz dazu ist die Psychose im wesentlichen -aber wiederum auch nicht ausschliesslich- organisch verursacht. Man unterscheidet organische Psychosen (nachgewiesen körperlich verursacht) und endogene Psychosen (eine körperliche Verursachung wird zumindest angenommen ebenso aber auch eine psych. Mitverursachung)
Die Behandlung von Psychosen obliegt zwingend Psychologen/Fachärzten/Kliniken.
Bei Psychosen -wie auch Persönlichkeitsstörungen- liegt oftmals kein Problembewusstsein vor,
die Psychose geht einher mit einem grundlegenden Wandel des eigenen Erlebens und des Bezugs zur Aussenwelt.

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